Ev.-Ref. Kirchengemeinde St. Johannis

Impfung – ein Gebot der Nächstenliebe?

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Stellen Sie sich einmal vor, in unserem Land bricht eine große Hungersnot aus. Und dann schafft es die Regierung, genügend Nahrung für alle zu organisieren und bietet sogar an, sie kostenlos zu verteilen. Und die meisten hier nehmen dieses Angebot dankbar an. Aber dann werden auf einmal Stimmen laut, die sagen: "Wir lassen uns doch nicht von so einer autoritären Regierung vorschreiben, was und wann wir zu essen haben!" oder „Da steckt Bill Gates dahinter, der will uns alle vergiften.“ Und Tausende gehen auf die Straße und tragen Transparente, auf denen steht 'Nieder mit der Zwangsernährung!' oder 'Hungern macht frei'. Sie finden das absurd? Ich auch. Aber Sie müssen nur ‚Hungersnot’ durch ‚Corona’ ersetzen und ‚Nahrung’ durch ‚Impfung’, und schon haben Sie genau das, was derzeit passiert.

Impfgegner*innen betonen immer wieder, dass sie durch die staatlichen Corona-Maßnahmen unsere Freiheit in Gefahr sehen und berufen sich dabei oft aufs Grundgesetz. Doch wo bitte steht im Grundgesetz, dass jeder das Recht hat, seine Mitmenschen mit einer potentiell tödlichen Krankheit anzustecken? Manche ziehen sogar völlig absurde Parallelen zum Faschismus. Freiheit bedeutet doch nicht, dass hierzulande alle machen können, was sie wollen. Es gibt ein Strafgesetzbuch, das in 358 Paragrafen regelt, was in unserem Staat verboten ist. Es gibt eine Straßenverkehrsordnung, die mich z.B. zwingt, selbst dann vor einer roten Ampel zu halten, wenn weit und breit niemand anderes zu sehen ist. Es gilt eine Anschnallpflicht beim Autofahren, eine Helmpflicht beim Motorradfahren. Das alles gab es schon vor Corona und ich hatte nicht das Gefühl, deshalb in einer Diktatur zu leben. Und jetzt soll plötzlich das Dritte Reich wieder auferstanden sein, bloß weil es in bestimmten Bereichen eine Maskenpflicht gibt oder einige vorübergehende Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit?

Ich finde auch nicht alle Corona-Maßnahmen sinnvoll und stimmig, aber ich erkenne darin trotzdem das Bemühen, das zu tun, was alle Regierungsmitglieder bei ihrem Amtsantritt feierlich geschworen haben, nämlich Schaden vom deutschen Volke zu wenden. Wer darin stattdessen das Umschlagen unserer Demokratie in eine Diktatur sieht, sollte sich mal anschauen, wie es in den wirklichen Diktaturen dieser Tage – z.B. Russland, Belarus, Myanmar oder China – zugeht.

Etliche Impfskeptiker*innen äußern den Verdacht, dass die staatliche Impfkampagne nur ein abgekartetes Spiel zwischen der Regierung und den Pharmakonzernen ist, um letzteren zu riesigen Profiten zu verhelfen. Und ich will gar nicht bestreiten, dass die meisten Politiker*innen eher ein offenes Ohr für die Interessen der großen Konzerne haben als für die der kleinen Leute. In diesem Fall allerdings liegen die Dinge nicht so einfach. Corona stellt eine echte Bedrohung dar, die in Deutschland bereits rund 100.000 und weltweit rund 5.000.000 Menschen das Leben gekostet hat, ganz zu schweigen von den zahllosen Infizierten, die sich auch nach ihrer Genesung noch mit gravierenden Langzeitfolgen herumschlagen müssen. Da war staatliches Eingreifen gefordert. Denn ohne die Corona-Maßnahmen lägen die o.g. Zahlen noch wesentlich hoher. Wer dennoch weiterhin an eine Verschwörung von Regierung und Pharmakonzernen glaubt, muss sich fragen lassen: Wie schaffen es diese Konzerne, nahezu alle Regierungen der Welt nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, und das sogar in Staaten wie Russland oder China, in denen sie gar keine Profite machen können, weil sie dort schlicht nicht vertreten sind? Und wie kann es sein, dass ein relativ kleiner Wirtschaftszweig wie die Pharmaindustrie rücksichtslos seine Profitinteressen durchsetzt, obwohl andere, deutlich größere wie z.B. die Tourismus- oder die Unterhaltungsbranche, die doch ebenfalls eine Lobby haben, durch die Corona-Maßnahmen massive Verluste erleiden?

Der beste Weg, die mit Corona verbundenen Einschränkungen zu überwinden ist, sich impfen zu lassen. Damit Sie mit knapp 90% Wahrscheinlichkeit nicht daran erkranken. Damit Sie niemanden anstecken. Und damit Sie weiteren, womöglich noch gefährlicheren Mutationen des Virus den Nährboden entziehen. Dazu verpflichtet uns nicht zuletzt das christliche Gebot der Nächstenliebe. Denn „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ heißt auch „Schütze deinen Nächsten wie dich selbst“. 

(Dieter Westermann)

Dieter Westermann, langjähriger Presbyter in der St. Johannis-Gemeinde, hat im Gemeindebrief der reformierten Kirchengemeinde diese Stellungnahme zum Impfen veröffentlicht.