24/03/2025 0 Kommentare
Zweimal Aussetzen, bitte!
Zweimal Aussetzen, bitte!
# Andacht

Zweimal Aussetzen, bitte!
„Stopp!“ Triumphierend legt meine Tochter eine Karte auf den Tisch. „Du musst aussetzen!“ Ich freue mich und denke mir: Schön ist das, die Große hat verstanden, dass Regeln etwas Gutes sind. Dass man sie einsetzen kann, auch im Leben. Doch jetzt spielen wir. Und das ist schön. Spielen ist das Leben, nur im Modus der Fantasie. „Mama, du musst schon wieder aussetzen!“ Diesmal zwinkere ich ihr zu und sage: „Da hast Du Dich aber zu früh gefreut. Ich habe auch eine ‚Aussetzen‘ Karte!“
„Stopp!“, ein kleines Wort für eine Erfahrung, die wir im Leben immer wieder machen. Das fühle ich, wenn ich an der Kreuzung vorm „Stopp“ Schild stehe. Ein Auto nach dem anderen fährt vorbei. Alles in mir kribbelt. „Kann ich endlich weiterfahren?“ ruft es in mir.
Ausgebremst sein. Menschen, die einem Energie nehmen, weil sie ständig Bedenken haben, Dinge anders sehen, Grundsatzdiskussionen führen, statt Mut zu machen und zu sagen: Mach mal! Kennen Sie diese Erfahrung? Wer oder was bremst Sie aus?
Manchmal sind es auch gar nicht andere. Dann sind es meine Bedenken und Sorgen, die mich hindern, zu tun, was ich für richtig halte. Und oft, kommt beides zusammen.
Ich denke an einen, der diese Erfahrung machte: Doppelt ausgebremst zu sein. Erst waren das andere, die ihm sagten, er solle mal aufhören mit seinem Gerede. Jeremia, von dem ich spreche, war Prophet. Er hatte etwas zu sagen, das spürte er deutlich. Unrecht geschah, und er wies darauf hin. Aber er sah auch das Gute, die Möglichkeiten, die den Leuten gegeben waren, auch wenn ihre Situation allem Anschein nach miserabel war. Und davon sprach er. Sinngemäß sagte er ihnen: „Macht das Beste draus! Bringt euch ein, gestaltet den Ort, an dem ihr lebt, zum Besten aller!“ Doch das wollte keiner hören. Er wurde dafür gehasst, und verspottet.
Es ist so viel einfacher, einzustimmen in das Schlechtreden, in die Gegenwartsdiagnose einer Abwärtsspirale, an der man eh nicht mehr drehen könne. So viel einfacher, als nach dem zu fragen, was ich tun soll in einer Situation die nunmal so ist, wie sie ist. Es ist so viel einfacher zu bremsen, zu nörgeln, zu spotten, als zu fragen: Was ist das Menschenmögliche, das wir für ein gutes Leben in unserer Stadt tun können? Und was kann ich dazu beitragen?
Jeremia verzweifelt. Alles um ihn herum sagt ihm, es sei besser aufzuhören. Alles um ihn herum legt eine große „Stopp“ Karte. Und fast ist er geneigt, das hinzunehmen. Aufzuhören. Doch da spürt er den Impuls in ihm: Mach weiter! In einem großartigen Bild beschreibt er, wie sich das anfühlt: „Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht.“ (Jeremia 20,9) Er wusste: Was er zu sagen hat ist zwar unbeliebt, aber richtig. So wie ich einem guten Freund sagen kann: „Hör doch mal zu, was deine Freundin sagt, bevor du gleich schlecht über sie redest!“ Unbeliebt heißt nicht falsch. Im Gegenteil.
Ich glaube: Es stimmt. Manchmal ist es einfacher, sich dem anzuschließen, was andere wollen. Doch das, was dem Menschsein, dem Miteinander in Achtung und Respekt dient, das möchte aus uns raus. Auch wenn es unbequem ist.
„Da habt ihr Euch zu früh gefreut! Ich habe noch eine Aussetzen Karte.“ Jeremia zückt sie und: Macht weiter! Mir macht Jeremia Mut. Vielleicht auch Ihnen? Was bremst Sie aus? Wer legt Ihnen eine „Aussetzen“ Karte hin? Und welche Karte haben Sie noch nicht gespielt?
Zuerst erschienen im Westfalen-Blatt, 22. März 2025
Kommentare